Das Schreckgespenst der bezahlten Blogger (und ihre Motivation)

In den letzten Tagen machte die Schlagzeile die Runde, dass ein Verlag Blogger mit Einkaufsgutscheinen für Rezensionen "bezahlen" würde. Der Aufschrei war (und ist immer noch) groß, die Verteufelung dieser Praxis schnell bei der Hand.
Wo kommen wir denn da hin, wenn wir uns nicht mehr darauf verlassen können, dass Rezensionen einwandfrei und unvoreingenommen sind, unabhängig von kommerziellen Interessen?
Die Befürchtung, dass einige sich kaufen lassen, wiegt viel schwerer als nötig, wenn man sich die Masse an Blogs und Rezensionen ansieht (die unmöglich in Gänze "bezahlt" werden könnten), auch scheinen manche in ihrer Panik zu vergessen, dass bezahlte Meinungen (um die es noch nicht einmal geht) keine Neuheit und auch nicht erst mit dem Internet aufgekommen sind. Genau genommen ist hier scheinbar das gesamte Konzept des "Rezensionsexemplars" in Frage gestellt, wenn man tatsächlich 100%ige Unabhängigkeit der berichterstattenden Presse fordert.

Hier gibt es bereits eine sehr gute Auseinandersetzung mit dem Thema, eine endgültige "Lösung" scheint aber kaum möglich. Ich persönlich halte es für völlig legitim, wenn Verlage Rezensionen "anregen" - wo da die Grenze zum "Kaufen" von Meinungen liegt, möge jeder selbst entscheiden.
Ich bin eher geneigt zu glauben, dass die Blogger mit dem größten Einfluss (= Anzahl Leser/Follower), die wahrscheinlich dadurch bevorzugtes Ziel für Angebote dieser Art sein werden, vorsichtig genug sind, sich ihre Anhängerschaft nicht durch Korruptionsvorwürfe zu verärgern. Und ich halte auch die Leser für kompetent genug, Kommentarfunktionen und ähnliche Rückmeldekanäle zu verwenden, um ihre Meinung zu veröffentlichen: Eine auffällig positive Rezension mit 20 klaren Gegenstimmen wird schnell ihre Glaubwürdigkeit verlieren, passiert das häufiger, wird die Selbstreinigungsfunktion der sozialen Kontrolle entweder den Rezensenten zur Revision seiner Praxis bewegen oder die Leser sich anderen Blogs zuwenden lassen.

Damit nicht genug: Ein meiner Meinung nach bisher zu wenig betrachteter Aspekt der ganzen Geschichte ist die Frage nach der Motivation der Blogger: Sollten diese überhaupt eine Belohnung in Form von Gutscheinen erhalten bzw. diese annehmen wollen? Es gibt nicht nur eine Untersuchung zum sogenannten Korrumpierungseffekt, der - kurz gefasst - besagt, dass die Motivation, etwas zu tun, was man von sich aus schon gern gemacht hat, sinkt, wenn man eine Belohnung dafür erhält. Die subjektiv empfundene Verpflichtung, eine Rezension schreiben zu müssen, weil man dafür entlohnt wird, könnte also - ganz unabhängig davon, ob man sich auch verpflichtet fühlt, die Rezension jetzt besonders wohlwollend ausfallen zu lassen - einfach dazu führen, dass man weniger Lust verspürt, überhaupt noch zu rezensieren.

Hier das Ganze noch einmal grafisch (hier gefunden):


Abgesehen davon, ob es legitim ist, einen Anreiz dafür zu schaffen, Rezensionen zu schreiben (ich meine: ja), ist es vielleicht gar nicht hilfreich, das auch zu tun.
Aber wie so oft wird sich die Sache wahrscheinlich mit viel, viel weniger Aufhebens selbst regulieren, als man angesichts der wilden Diskussionen aktuell vermuten würde.


EDIT 12.6.14: Seltsamerweise sind seit gestern etliche Blog-Beiträge über ein Portal für reduzierte Bücher an die Öffentlichkeit geschwemmt worden. Nur in einem der so unauffällig gehäuften Texte wurde erwähnt, dass man beim besagten Anbieter einen Gutschein erhält, wenn man in seinem Blog darüber berichtet. So gar nicht überraschend war es da, dass keiner der Artikel negativ oder in irgendeiner Form kritisch war, nur Positives wusste man zu berichten.
Und erstaunlicherweise regt sich darüber niemand auf, obwohl das Portal ganz klar kommerzielle Interessen verfolgt. Fehlt hier jetzt einfach die Aufmerksamkeit oder sind diejenigen, die bei den angeblich gekauften Rezensionen vom Verlag übergangen wurden, vom Bücherportal dieses Mal aber bedacht worden...?

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